Beeindruckende Lesung von "Sternkinder"
Marktheidenfelds Erster Bürgermeister Thomas Stamm begrüßte im Rahmen der Verlegung von Stolpersteinen in Marktheidenfeld und zu Beginn der Veranstaltungsreihe „WortKunst“ die große Zahl an Zuhörern in der voll besetzten Stadtbibliothek. Bernhard Elsesser gestaltete in Marktheidenfeld eine Lesung zu dem Buch „Sternkinder“ der niederländischen Autorin Clara Asscher-Pinkhof (1896-1984). Dabei verwendete er auch aufwändig recherchierte Hintergrundinformationen und eindrucksvolles Bildmaterial.
Die Cellistinnen Mareike Zenglein und Carmen Thaens von animaCello spielten dazu passend ausgewählte jüdische Musik im Stile von Klezmer.
Elsesser begann zum Einstieg mit der Erzählung „Saisonbeginn“ der Halbjüdin Elisabeth Langgässer (1899-1950). Zunächst tauchte darin eine heile Bilderbuchwelt auf. Jedoch ging es neben aufkeimendem Antisemitismus, Gleichgültigkeit oder Verdrängung auch um die Doppelmoral der Bewohner eines bayerischen Kurortes.
Im Mittelpunkt des Vortrages standen Momentaufnahmen von Kinderleben, in einzelnen Episoden festgehalten über den Verlauf der Judenverfolgung in den Niederlanden in der Zeit von 1937-1945. Vor allem Stationen des Leidensweges jüdischer Kinder aus deren Perspektive wurden erzählend nahegebracht: Die Stigmatisierung durch den gelben Stern, den Ausschluss aus der normalen Lebenswelt, die Schikanen, das Leben im Ghetto und die Deportation in die Vernichtungslager.
Die Autorin Clara Asscher-Pinkhof hat in ihrem Buch „Sternkinder“ das, was sie gesehen hat, in vier Kapitel eingeteilt. Die zum Teil sehr kurzen Erzählungen könnten nette Anekdoten sein, stünden sie nicht im Zusammenhang mit der mörderischen Judenverfolgung durch die deutschen Nationalsozialisten. Die selbstbezogene Sichtweise aus den Augen des Kindes überrascht den Leser und Hörer in den meisten Geschichten.
Der Abschnitt „Sternstadt“ widmet sich zunächst dem Leben in den „Judenvierteln“ der Stadt Amsterdam. Die Juden durften nur in den gekennzeichneten Gebieten wohnen. Ihr Alltag war durch viele Reglementierungen geprägt, wie Ausgangssperre oder Einkaufsverbot in nichtjüdischen Geschäften. Das Tragen des Judensterns ab 6 Jahren war Pflicht. Zunächst erscheint der Stern für die Kinder wie eine Auszeichnung. Sie erleben aber schon bald, dass dem nicht so ist. Verhaftungen, Abtransport, Selbstmord und Denunziationen bleiben auch den Kinderaugen nicht verborgen. Nach und nach werden die Juden in den Vierteln verhaftet und zunächst in das ehemalige Theater „Hollandsche Schouwburg“ gebracht, das „Sternhaus“ wie es Asscher-Pinkhof nennt.
Anschließend werden die meisten Juden in die „Sternwüste“, das Durchgangslager Westerbork, transportiert. Dies zeigte sich jedoch bereits als ein Vernichtungslager:
Montags kommt ein Zug ins Lager Westerbork, um immer neue Menschenmassen - insgesamt über 90.000 Juden - in das Konzentrationslager Bergen-Belsen, die sogenannte „Sternhölle“ zu bringen. In Bergen-Belsen, welches als Austauschlager bezeichnet wurde, fanden bereits tausende Juden - darunter viele Kinder - den Tod. Die Hoffnung auf Rettung erfüllte sich für lediglich 222 „auserwählte Sterne“. So konnten am Ende eine Hand voll „Sternkinder“, zufällig ausgewählt, in Richtung neue Heimat Palästina reisen. Dazu gehörte unter anderen die Autorin Asscher-Pinkhof.
Die Geschichten der Sternkinder wurden von Bernhard Elsesser emotional eindrucksvoll und bewegend wiedergegeben. Passend zu den Texten setzten die Musikerinnen Mareike Zenglein und Carmen Thaens die Emotionen ausdrucksstark um. Dabei wurden auch Klangschalen und Mundharmonika verwendet.
Mit Zitaten und Gedichten der bekannten jüdischen Schriftstellerinnen Else Lasker-Schüler und Hilde Domin rundete Bernhard Elsesser den Abend ab. Der Vortragende leistete mit dieser zum Nachdenken anregenden Lesung einen wertvollen Beitrag gegen das Vergessen und gegen – auch bei uns – immer wieder aufkeimenden Antisemitismus. „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart“, so zitierte Elsesser abschließend den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.
Die von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung gespendete Summe von 220 Euro wird für einen Stolperstein und für den Förderkreis Synagoge Urspringen verwendet.
Textautor: Ulrich Geißler
Foto: Susanne Wunderlich
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